P E N

Ein Schriftsteller und Herumtreiber

Neben dem Thema Notizen und wie ich sie mir überall verfügbar mache, begleitete mich das Thema Cloud, seitdem ich davon weiß. Und das ist eine ganze Weile. Ich benutzte Dropbox seit 2009, probierte in der Zeit danach immer wieder andere Clouddienste wie zB Onedrive, Google Drive, Box, verschiedene Nextcloud Anbieter und natürlich pCloud aus der Schweiz. Der Hauptgrund für meine Cloudnutzung war die Überzeugung oder das Bestreben, alle notwendigen Daten und Informationen überall zu jeder Zeit verfügbar zu haben. Speziell was Reisen betrifft: Tickets, Buchungen, Reiseunterlagen allgemein, Vignettenzahlungsbestätigungen usw ... Und da ich zu Hause sowohl auf einem Desktop (NUC) arbeitete und einem Laptop (früher ein Macboob Air, jetzt ein HP Elitebook) wollte ich natürlich auf allen Geräten nahtlos an meinen Romanen arbeiten können.

Nebenbei befasste ich mich immer wieder mit dem Thema Privacy & Security, und versuchte, das ganze Cloudgehabe damit unter einen Hut zu bekommen. Darüber hinaus benutzte ich ja auch noch Evernote und synchronisierte meine Browserdateien über Firefox Sync.

Alles war immer im Fluss, und alles hat nun ein Ende. Den Anfang vom Ende begründete ein Fund im Büro, nämlich eine alte HP Dockingstation, die ich mit nach Hause nahm und die perfekt zu meinem aktuellen (renewed) Elitebook passt. Damit kann ich leicht auf den Desktop PC verzichten und da ich damit auch kein zweites Device mehr hatte, konnte ich auch auf die Synchronisation der Browserdateien verzichten. Die gesamte Ordnerstruktur wanderte in das lokale Verzeichnis Dokumente, und ich gebe es zu, ganz ohne Cloud geht es dann doch nicht. Ich nutze die Backupfunktion von pCloud. Das wird ad hoc synchronisiert, gearbeitet wird aber nur noch lokal am Laptop.

Durch das Entwirren der unterschiedlichen und zum Teil anspruchsvollen Konfigurationen trage ich erheblich zur Sicherheit meiner Daten bei, vertraue sie keinem fremden Rechner an – nur das Backup ist in der Cloud, bis mir eine bessere Lösung eingefallen ist.

Die Entscheidung, mich aus der Cloud zurückzuziehen, wirkt auf mich sehr beruhigend und entspannend. Das ganze Drumherum um Datenmanagement und so weiter ist entkrampft, reduziert und sicher.

Und wie sieht mein Setup aus? – Win 11 auf HP Elitebook – Libreoffice für Tabellen und Romane – Firefox fürs Internet – Thunderbird für Mails – Obsidian für Notizen (lokal, Markdownfiles) – iA Writer für Rohentwürfe – Domain auf inwx.at – Mails, Kalender, Kontakte, Aufgabenplanung bei Mailbox.org

Der österreichische Schriftsteller Daniel Wisser hat auf der Nachrichtenseite zackzack eine Kolumne, und letztens schrieb er über eine relativ neue Unart in der Literaturwelt – den Legitimierungszwang.

Der Legitimierungszwang besagt, dass nur ein homosexueller achtunddreißigjähriger Kellner, der in Wien im achten Bezirk wohnt und den Mount Everest besteigen möchte, über homosexuelle achtunddreißigjährige Kellner, die in Wien im achten Bezirk wohnen und den Mount Everest besteigen möchten, schreiben darf.

Ich hab das in ersten sanften Wellen vor einigen Jahren wahrgenommen, als man allen Ernstes daran dachte, literarische Klassiker und Kinderbücher umzuschreiben, weil die damals gebräuchlichen Wendungen, Wortschöpfungen und Bilder heute nicht mehr opportun sind. Pippi Langstrumpfs Vater, der Negerkönig? Ist nur ein Beispiel von vielen. Gehts nicht kleiner? Etwa in Neuauflagen eine Art Vorwort voranzustellen? Im Film Theater des Grauens mit Vincent Price ist einer der bedrohten Kritiker empört, dass nur ein eingebildeter Zipf wie Edward Lionheart so verwegen sein kann, Shakespeares Kaufmann von Venedig umzuschreiben. Tja und heute ist das Umschreiben der Klassiker quasi Teil der politischen und gesellschaftlichen Richtigkeit.

Auffällig wurde es, als es um die Übersetzung des Gedichts ging, die die amerikanische Schriftstellerin Amanda Gorman für Joe Bidens Angelobung geschrieben hatte: The hill we climb. Da wurde nämlich darüber gestritten, wer das Werk übersetzen darf und welche “pre-requisits von dieser Person zu erfüllen sind, die zunächst einmal nichts mit literarischem Können und Einfühlungsvermögen zu tun haben. Der Text an und für sich ist von lieblicher Belanglosigkeit, so gestückelt, dass er den Atempausen entspricht. Kein Kunstwerk aber auch nicht schlecht. Dem Moment angemessen pathetisch und voll muskulöser Bilder. Mir ist es ja wurscht, und meinetwegen können sie sich alle gegenseitig in die Goschen hauen. Als man Charles Bukowski über Allen Ginsberg fragte: “Was hältst du von ihm?”, sagte Bukowski sinngemäß: “Ja, der ist schon genial. Aber was hilft ihm das alles wenn er das verdammt Klo nicht findet?” Gut, Bukowski war wohl immer ein wenig rüde, aber er fasste das, was ich mir denke, griffig zusammen: Der formale Anspruch an Literatur und Schriftsteller sind alle nichts wert und sinnlos, wenn man nicht dazu kommt, das finale Geschäft ordentlich zu erledigen. Wenn das Drängen & Streben der moralischen Vorbedienungen Dein eigenes Streben nach Wahrheit & Begreifen aushebeln. Dann stehst Du als Schriftsteller letzten Endes da und kackst Dir in die Hose.

Der Verdacht liegt nahe, dass all diese Legitimierungsstolperfallen im Grunde genommen nur den Einfallslosen dienen, den Wenigkreativen und Stümpern, um am Werk anderer moralisch gerechtfertigt herummäkeln zu können. Die Studenten, die vor ein paar Jahren in heller Empörung Universitätsprofessoren das Mikro während einer Vorlesung abdrehten, weil sie sich in ihrem akademischen Saferoom bedrängt fühlten, sitzen jetzt feist und wuchtelbreit an den Schaltern und üben Druck aus. Um sich zu rächen, um Macht auszuüben, um Regeln vorzugeben, die mit steigender Komplexität das Maß an Verunsicherung bewirken, das sie brauchen, um sich überlegen zu fühlen.

Man müsste sie umgehen, aber sie haben sich als Praktikanten und Redakteure in Verlagshäusern eingetreten und als Rezensenten mit privaten Blogs im Web breit gemacht. Gerade Jungschriftsteller, die die Aufmerksamkeit durch gute Rezensionen suchen, sind diesen moralinsauren, sanft säuselnden oder empört donnernden Freaks, die das Klo nicht finden, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Und erst die, die anständige Literatur schreiben (wollen) und im Feuilleton besprochen werden (wollen).

Wo bleibt der literarische Trotz? Der Widerstand? Muss ja gar nicht mal ein Wirbel sein. Einfach umgehen, die Beliebigmacher der Sprache & Kultur. Die kulturellen Desinfektionsgeschwader. Auslachen und links liegen lassen.

Heute war ich bei meinen Eltern auf Besuch, um Mama mit dem Mailprogramm zu helfen und um gemeinsam den alten Kühlschrank zu verschieben

Das war eine Nachwehe vom gestrigen Familienbesuch, als wir uns alle in Biedermannsdorf trafen, um ein Familienfoto zu schießen. Richard wollte nach dem Essen beim Fahrradheurigen Holzgruber nach Hause, weil ihm der Fuß wehtat. Deshalb fuhr ich heute allein raus, tankte bei der Gelegenheit das Auto, wusch es und saugte den Innenraum. Das ist alles nur Geplänkel, die Vorgeschichte. Auf dem Weg nach Hause beschloss ich, beim Gemeindeteich von Biedermannsdorf einen Zwischenstopp einzulegen und auf dem Feldweg nach hinten zu gehen, am Teich vorbei, in der stillen Hitze des Tages, im Geruch des trockenen Grases. Ich versuchte nach Echos zu lauschen. Die Erinnerungen sind angestaubt, aber sie sind da. Als ich vor 40 Jahren hier entlang ging.

Von zu Hause gegen 10:00 am Birkenweg zum Teich, der damals noch zum Wildbaden war – kein Zaun, keine Uferbegrünung, keine Kantine. Fritz Kling, Peter und Franz Jägersberger, Michael Zraly, Reinhold Atlas, ich und seufz Walter Kroboth. Mir fiel heute ein, dass wir damals an einem Sommertag ein Foto da oben gemacht haben: von links nach rechts: Reinhold, Fritz, Michael, Peter. Vielleicht war es auch im Herbst, doch es war vor 40 Jahren. Damals lag die Welt vor mir, frisch und glitzernd wie das Ejakulat aus dem ersten feuchten Traum eines Jungen.

Ich konnte beinahe durch die Jahre hindurchgreifen und denselben Tag spüren. Ich roch ihn, ich war ihm nahe, nur durch eine Membrane getrennt, die Leben heißt. Die rotzige Obszönität von Michael, die engelhafte und ernste Schönheit von Fritz. Walter tragische, ungarische Eleganz und Schönheit, Reinholds Erwachsensein. Die Freunde meiner wirren Teenagerjahre. Der Geruch von Sonnenmilch und Seewasser, wie wir uns gegenseitig mit Wichsbewegungen jagten und mit Sonnenmilch anschweinten, von der Zukunft träumten und schwadronierten, wenn wir nass und schwer atmend auf den Badetüchern lagen.

Ich stand da oben eine Weile. Die schräg geschlichteten Stahlbetonplatten, auf denen sie gesessen hatten, als ich das Foto geschossen hatte, damals im Sommer 1982, die sind weg. Die Hitze und die Stille sind noch da, die Felder und Sträucher auch. Ich ging zurück über den Feldweg zum Parkplatz, wo ich das Auto abgestellt hatte, hörte den Wind in den trockenen Blättern der Bäume rascheln.

Meine Güte, waren wir lebendig!

Im Sommer 1981 verliebte ich mich in den schönsten Jungen von Biedermannsdorf. Walter Kroboth war von einer geradezu tragischen, ungarischen Wildheit und Eleganz, ohne sich dessen bewusst zu sein. Vielleicht war er sich dieser Qualitäten doch bewusst, auf einer abstrakten Ebene.

Ich taumelte in diesen Tagen nach dem Tod meines Bruders wie ein angeschlagener Boxer durchs Leben, war im zweiten Lehrjahr in den Dekorationswerkstätten der Bundestheater und die aufwändigen Routinen gaben mir Halt und Orientierung. Jeden Wochentag stand ich um 04:45 auf, wusch mich, putzte mir die Zähne, trank kalten Kakao und fuhr mit dem Postbus um 05:19 von Biedermannsdorf nach Wien, zum Südtirolerplatz. Die Dekorationswerkstätten befanden sich im Arsenal (wo sie auch heute noch sind, glaube ich). Wirkliche Freunde, wie ich sie am Arbeitsplatz fand (Grüße an Roman, Alexander, Karl und Max) taten mir gut und halfen mir, den Umstieg vom Wiener Jungen, der einen Bruder verloren hatte,  zum “Neuen” in der Dorfjugend einer kleinen Gemeinde im Süden Wiens zu vollziehen.

Walter hatte ich schon im Sommer 1980 gesehen, konnte ihn aber nicht zuordnen. Meine Seelenfreunde in Biedermannsdorf wurden die beiden Außenseiter Fritz und Ilmaz. Fritz wohnte bei seiner Mutter in einem alten, heruntergekommenen Kutscherhof auf der Ortsstraße, Ilmaz wohnte mit seiner Familie in einem Anbau des verlassenen Borromäums, das später, ich glaube 1983 oder 1984, zu einer Mädchenschule wurde.

Mein Halt war also durch Freundschaften gegeben, die sich nicht berührten. Da die Jungs, mit denen ich gemeinsam in die Lehre ging, und in Biedermannsdorf, das in der Sommerhitze dunstete und schwieg, Fritz und Ilmaz.

Dann, im Mai oder im Juni, als wir anfingen, jeden Tag, an dem es warm genug war, im Gemeindeteich von Biedermannsdorf zu schwimmen (und heimlich Zigaretten zu rauchen), erschien Walter. Es gab damals so eine Art Lieblingsplatz an diesem wilden Teich, wo sich die Jugendlichen trafen. Ilmaz und Fritz waren locker in die Dorfjugend eingebunden, aber eben nur locker. Walter war anders verankert; er wollte nicht nur der Fußballer sein, der er war, mit all seinem sportlichen und schauspielerischen Können (niemand konnte sich so dramatisch fallen lassen und sich das Schienbein halten wie Walter, wenn er im Spiel gefoult wurde. Da staubte es und er sank mit einem wehen Seufzer zu Boden, und starb vor den zusehenden Mädchen und ich stand neben den Mädchen und war eifersüchtig darauf, wie sehr er sich um deren Interesse bemühte, wo ich es doch war, der ihm aufhelfen und ihn küssen wollte, bis die Sonne unterging), er wollte zu der “gehobenen” Ortsjugend gehören.

Walter kam zum Teich und ich sah ihn zum ersten Mal in der schwarzen, knapp geschnittenen Badehose. Mir gefiel Walter ja schon in seinem Straßenoutfit: Er trug im Sommer ziemlich enge, ausgewaschene Jeans von Wrangler, High Tops von Adidas, weiße Tanktops und Jeansjacken. Walter war schon Anfang Mai brauner als wir anderen und sein abenteuerliches Lächeln zeigte perfekte, weiße Zähne. Er war biegsam und schnell in allem, was er tat und er war … sexy.

Ich war sechzehn und meine intimen Vorstellungen in jenen Tagen gingen nicht über ernste, tiefe und glückliche Blicke hinaus. Und ich wollte Walter küssen, ich wollte, dass er mich küsst und dass er mich ungeschickt umarmt und dass sein schiefes Grinsen nur mir gehört, ich wollte in seinem Geruch sein und ihn in meiner Hitze einfangen; sexuelle Wunschvorstellungen hatte ich noch nicht. Ich wollte einfach, dass wir uns beide in einem Glücksrausch auflösen und neu zusammensetzen, wild lachend vor Glück. Zwei Jungen, die rennen, schwitzen und schwimmen, sich umarmen und irgendwie miteinander zum Orgasmus kommen, ohne dabei den dunklen Wald der Unanständigkeit zu betreten.

Ich war furchtbar idealistisch, was das betraf, und Walter wusste nichts von meiner Schwärmerei für ihn. Vielleicht spürte er es, vielleicht auch nicht. Aus seiner Sicht war ich nicht mehr, als ein anderer Junge aus Biedermannsdorf, ein Neuer, der sich mit zwei Außenseitern herumtrieb, während er darum bemüht war, Zugang zu den besseren Kids zu finden, vor allem, weil dort die Mädchen waren, die ihm gefielen. Walter war durch und durch hetero. Ich denke, er war so hetero, der wäre sogar vor Wut an die Decke gegangen, wenn ihm ein Bursche nach dem Fußballspiel in der Umkleide ein feuchtes Badetuch auf den Arsch geklatscht hätte. Er war nicht nur an Mädchen interessiert, und zwar sehr, es war ihm auch wichtig, dass alle das sahen und wussten.

Walter liebte hymnische Musik; der Musikgeschmack der Biedermannsdorfer Jugend Anfang der Achtziger wurde intensiv von den Gebrüdern Lugerbauer geprägt. Vor allem vom ältesten der Brüder, von Alfred: Yes, Mike Oldfield, Tangerine Dream, Rick Wakeman, Vangelis …

Walter mochte Hymn von Rick Wakeman aus dem Album 1984 und tanzte dazu wie ein wildgewordener Indianer * The Hymn – YouTube

Und Hymn von Ultravox * Ultravox – Hymn [](https://www.youtube.com/watch?v=reCWi36bN0c) (Original Extended Mix) 1982 – YouTube

Ein trauriges Lied, das uns beiden gut gefiel, war Be my friend von No bros. Der einzige Hit, den diese Gruppe aus Wien je hatte: * “Be my Friend” No Bros 1982 Freddy Gigele – YouTube

Und wenn wr trunken mit den anderen aus dem Ort nachts am Seeufer saßen, sangen wir Take the long way home von Supetramp * Supertramp – Take The Long Way Home [](https://www.youtube.com/watch?v=LPRrHyXchEY) (BEST QUALITY SOUND) – YouTube

Dann kam der August, die Tage heißer und so schwer wie Steine. Die Dekorationswerkstätten, in denen ich in die Lehre ging, hatten über die Sommermonate Juli und August geschlossen, ich lebte im ewigen Sommerurlaub, ging jeden Tag schwimmen, fuhr mit dem Fahrrad gemeinsam mit Ilmaz und Fritz zur Shopping City Süd, wo wir uns treiben ließen und, wenn wir genug Geld mit hatten, Cola kauften und uns wie die Herren der Welt fühlten.

An einem Samstag trafen Walter und ich uns eher zufällig in der Jubiläumshalle von Biedermannsdorf, setzten uns an einen Tisch und tranken Bier. Meine Sehnsucht dampfte mir aus allen Poren. Wir tranken noch mehr Bier und ich zerfloss vor Begierde, ihm zwischen die Beine zu greifen, eine intime und verbindliche Nähe herzustellen, die für alle Zeit Gültigkeit hatte. Natürlich griff ich ihn nicht an, aber er fragte, mich, warum ich ihn so ansehe, und er fragte das so freundlich und kumpelhaft, dass ich den Mut fand und sagte, ganz leise, ein Hauch mehr als ein Flüstern: “Ich würde dich einfach gerne küssen, Walter! Ich würde gern mit dir schlafen.” Etwas Originelleres fiel mir nicht ein. Ich war sechzehn, leicht betrunken und voll nervös, okay?

Er sah mich irritiert an, keineswegs feindselig, legte den Kopf schief und sagte in etwa: “Pfau Oida, über des muass i erst nochdenken!”

Er sagte nicht: Geh scheißen, du warme Sau. Er sagte nicht: Bist deppert, Schwuler! Er sah mich nur durchs Bier milde gestimmt mit seinen schweren ungarischen Augen an und meinte, darüber müsse er erst nachdenken. Jedenfalls war damit das Thema vom Tisch, wir tranken noch ein Bier und als wir in der sternenklaren Dunkelheit über die Ortstraße gingen, sangen wir laut, falsch und mit Begeisterung “Shadow on the wall” von Mike Oldfield.

Die ganze nächste Woche ging ich wie auf Wolken, war ganz und gar glücklich. Mein Schwarm wusste von meinen Gefühlen. Er hatte sich nicht abgewandt und gewürgt, so als ob er kotzen müsste, und er lief nicht im Ort herum und schrie: Der Piero (das war mein Spitzname) ist eine Homo, der mir an den Schwanz will. Er behielt es für sich, und am Freitag bat er mich, ihn in der Halle zu treffen. Am selben Tisch wie vorige Woche. Ich duschte und benutzte teures Duschgel und rasierte meinen Bartflaum und verwendete etwa von Papas Irish Moos Aftershave, ich gurgelte und spülte den Mund mit Odol, gab Gel in meine halblangen Haare und zupfte daran herum, bis ich meiner Meinung nach wie ein verwegener, wilder Junge aussah. Dann stolzierte ich in meiner engsten Jeans in die Jubiläumshalle und da war Walter. Tanktop, enge, ausgewaschene Jeans, seine pechschwarzen, wuscheligen Haare fielen ihm über die Augenbrauen. Er war auf eine Art und Weise niedlich wie ich es später nur noch bei einer anderen Person gesehen hatte, bei Thomas Haustein als Detlev im Film Wir Kinder vom Bahnhof Zoo:

Jedenfalls war Walter voll nervös und alles, seine Lider flatterten und wir tranken Bier und rauchten und redeten über den Sommer und die Party, die für das übernachste Wochenende, das letzte im August, auf der Lichtung bei den Bächen geplant war.

Und dann, so nach drei Bier und einer Handvoll Zigaretten, sagte er leise zu mir: “Du, wegen dem, was wir vorige Woche geredet haben,, was du mich gefragt hast, ja? Ich kann das nicht, ich kann das wegen meiner Erziehung nicht. Reden wir nicht mehr drüber, okay?”

Er sagte nicht, dass er das nicht will, oder dass er eben kein Schwuler ist, oder wenn er einer wäre, dass ich einfach nicht schön genug für ihn sei. Er sagte, er könne es nicht wegen seiner Erziehung, so, als hätte er über eine Antwort nachgedacht, mit der er mein Ansinnen ausschlagen konnte, ohne das Gesicht zu verlieren und ohne mich zu verletzen. Mir war in dem Moment zum Heulen zumute und alles was ich sagen wollte, zerfiel mir im Mund zu Asche. Ich glaube, er legte sogar ganz kurz seine Hand auf meinen Unterarm. Dann tranken wir weiter und Walter redete über etwas anderes, aber ich war taub, so als ob neben mir eine Granate explodiert wäre.

An diesem Abend gingen wir wieder gemeinsam über die Ortsstraße, wir sangen nicht und ich verbrannte neben Walter, der nach grünen Äpfeln roch, nach den Zigaretten, die er geraucht hatte und nach Bier. Ich brannte lichterloh, ging heim, legte mich ins Bett, holte mir einen runter und als es mir kam, weinte ich.

Die ganze Woche wich ich ihm aus und trieb mich mir Fritz und Ilmaz herum, denen meine mürrische Art auch irgendwie den Tag versaute. Dann kam dieser Freitag, es wurde Abend und ich ging nach einigem Überlegen auf diese Party auf der Lichtung, wo der Ort endete, die Wildnis begann und zwei Bäche zusammenflossen. Irgendjemand hatte eine Gitarre dabei und jemand anderes hatte Tablas und Bongos und als es dunkel wurde, sang jemand “The house of rising sun” und “morning has broken” und Fredl spielte Cavatina.

Cavatina – John Williams – YouTube

Walter tanzte trunken mit einer Flasche Bier in der Hand, der Mond schien und alles schien okay zu sein. Ich meine, angesichts der Tatsache dass ich eine Abfuhr bekommen hatte und meine Teenagerschwärmerei in sich zusammengebrochen war wie ein Sack voller Knochen.

Walter war in Susanne K. verliebt. Ja, die war auch dort. Ein wunderschönes Mädchen mit goldenen Haaren und einer Hauttönung, wie ich sie noch nie gesehen hatte, irgendwie olivgold oder so. Er wollte sie und er wollte sie mit all der Ungeschicklichkeit eines fünfzehnjährigen Burschen, der angesäuselt war.

Werner Stadlmann war da und Hans Adam, die beide betrunken herumsteifbeinten, und Alfred Lugerbauer, der die Gitarre spielte wie ein Gott, Mädchen waren da, für die ich mich nicht besonders interessierte, Walter wollte Susanne küssen und irgendwie (das erfuhr ich erst später), spuckte er ihr in den Mund und sie stieß ihn weg und er war fuchsteufelswild, kam zu mir, sah mich mit Wuttränen in den Augen an und schrie: “Kann einen denn niemand vor diesen Drecksschwuchteln schützen?” und donnerte mir die Faust ins Gesicht. Ich sackte zusammen wie vom Blitz getroffen und wollte sterben und im Boden versinken. Mir war übel, ich war taub, blind und verwirrt und Walter storchstakte davon und wälzte seine Schuldgefühle Susanne gegenüber auf mich ab, krächzte bittere Flüche und kämpfte mit sich und den Tränen. Ich war niemand, der je im Mittelpunkt stehen wollte, und jetzt sammelte ich den Rest meiner Würde auf, kämpfte mich auf die Beine zurück und zwei Jungs halfen mir, rein aus Solidarität mit dem Besiegten, und ich stand auf einmal ganz allein zwischen all den anderen und brannte wie auf dem Scheiterhaufen. Niemand fand ein tröstendes Wort, ein paar Mädchen kümmerten sich um Walter und ich ging allein und verdroschen durch das Wäldchen und die dunklen Gassen von Biedermannsdorf nach Hause.

Ich trug nicht einmal ein blaues Auge davon. Ich nehme an, das Walter mich nicht wirklich in Grund und Boden prügeln wollte, sondern dass er seine persönliche Enttäuschung in Bezug auf Susi an mir entladen wollte und gleichzeitig eine moralische Rechtfertigung brauchte, um zuschlagen zu können. Damals sah ich das wesentlich enger und fokussierter: Walter hatte mich öffentlich gedemütigt und geschlagen, weil er mich hasste, weil ich schwul war und ihn damit … belästigt hatte. Ich war kein abgebrühter Halbstarker – ich wollte einer sein, aber Pustekuchen, ich war nur ein langer Schlacks, dünn und vom Leben verwirrt. Der Junge, den ich liebte wie eine Ikone, verprügelte mich, ich war quasi zwangsgeoutet worden, also wollte ich sterben.

Rückblickend war das vielleicht das Herzzerreißende, der Grund, warum ich jetzt so gut verstehen kann,, warum verprügelte Ehepartner dort bleiben, wo sie sind. Weil man nicht einfach aufhören kann, zu lieben, nur weil es vernünftiger wäre. Liebe hat mit Vernunft nichts zu tun, man glaubt ja sogar, man kann geschützt durch Liebe, unter Wasser atmen.

Ich wusste nicht, wohin. Ich hatte niemand, mit dem ich drüber reden konnte oder wollte. Fritz und Ilmaz waren für mich vollkommen asexuelle Kumpel (obwohl Fritz Kling damals schöner war als ein Engel und das, was man einen echten Freund nennen kann – doch über [[Fritz the cat | Fritz]] will ich einen eigenen Beitrag schreiben] und mit denen konnte ich über meine Schwärmerei für Walter nicht reden.

Eine Woche später, an einem Sonntag Anfang September, kaufte ich vier Flaschen Bier und eine Schachtel Ernte 23 Zigaretten, ging damit zum Teich, die Steigung nach oben zu den alten Betonplatten, die dort seit der Entstehung der Welt lagen, setzte mich hin und beschloss, mich zu betrinken und dann ins Wasser zu gehen, um zu ertrinken. Das war der Plan.

Und da saß ich nun und über mir wurde der Himmel dramatisch, Wind frischte auf und wehte Laub über das trockene Gras. Die Oberfläche des Teichs war rau wie eine Feile, ich trank Bier und rauchte und fing an zu reden. Zu niemand, zu mir selbst, zu Gott und den steinernen Wolken, die aneinander rieben und rumpelten. Das war mein Rapport ans Leben selbst. Ich sagte dem Wind, dass es okay sei, dass ich schwul bin und dass ich deswegen keine Angst vor meinen Eltern hatte, und dass ich mich nur davor fürchtete, zu lieben, zu lieben, zu lieben und abgewiesen und ausgelacht zu werden. Ich sagte den Wolken, wie sehr es an mir zehrte, so zerbrechlich und schwach zu sein, zu stottern, wenn mich jemand scharf anging und wie dumm ich mich fühlte, weil ich Fantasiegeschichten über mich und meine Familie erzählt hatte, als wir hier 1980 einzogen, weil ich nach Aufmerksamkeit suchte. Ich erzählte dem Donner in der Ferne, wie sehr es mich traurig machte, wie meine Eltern sich bemühten, nach dem Tod meines Bruders Rudi die Familie zusammenzuhalten, sich selbst zusammenzuhalten und ich konnte nichts beitragen, nur da sein, und ich sagte den Gräsern zu meinen Füßen, ich denke, es ist zu wenig, dass ich da bin, ich bin nicht genug, um sie zu retten.

Ich trank noch ein Bier und redete mich in Rage. Ich verfluchte Walter, weil er mein Vertrauen niedergeprügelt hatte, weil er sich mir entzog, weil er trotzdem noch immer so schön war und noch immer alles in mir für ihn lichterloh brannte. Und ich redete weiter und krächzte heiser und weinte wieder ein wenig. Und dann brach die Sonne durch die Wolken. Ein goldener Vorhang aus Licht, und ich sagte: In Wirklichkeit, also es ist so, ich will leben. Und ich höre nicht auf, Walter zu lieben, nur weil er nicht schwul ist und selber gerade eine urschwere Sache durchmacht. Er ist okay, und ich bin okay, und das Bier ist alle.

Dann dachte ich so: Ich hab mich zum ersten mal verliebt. So richtig bis in die Haarspitzen. Und für diesen einen kurzen Moment, als alles möglich schien, war es wunderschön. Ein sehnsüchtiges Ziehen im Hinterkopf, im Magen und in den Lenden. Ein zitterndes Hoffen. Und Regenbogen, Regenbogen, Regenbogen!

Walter und ich kamen nicht zusammen. Wir hatten nie was und ich hörte nach einiger Zeit auf, von ihm zu träumen. Wir näherten uns im Herbst wieder aneinander an und kamen miteinander aus. Im darauffolgenden Jahr zerfiel unsere kleine Gang aus Walter, Fritz, Ilmaz, Michael Szraly und einigen anderen, als ein paar der Jungs sich um Rudi Keller scharten, der in der Perlaszgasse ein Lokal einrichtete und sich die willige Arbeitskraft der Jungs sicherte, in dem er ihnen Freibier versprach. Walter gehörte zu ihnen. Ich fuhr an den Wochenenden immer öfter nach Wien, um Jungs kennenzulernen.

Das Leben trennte uns voneinander, Ilmaz zog nach Wien, Fritz mit seiner Mutter ins Burgenland und ich zog 1984 ebenfalls nach Wien. Von Walter hörte ich erst im August 1991 wieder, als meine Mutter mir erzählte, er sei im Juli deselben jahres bei einem Motorradunglück auf einer Serpentinenstraße tödlich verunglückt. Walter wurde auf dem Friedhof von Biedermannsdorf bestattet.

Sein Grab habe ich erst im August 2022 besucht.

Das ist das Lied, das du am Ende einer Nacht im Club auflegen solltest. Ein letzter Tanz mit deinen Freunden Eng umschlungen mit deinem neuen Freund Im Morgenrot an der Seine, ganz im Paris-Mood Der Abschied ist greifbar nahe An diesem nicht allzu späten Sonntagmorgen

Das schrieb einer über Sebastien Telliers Song:

Es ist erstaunlich, wie die Zeit in unserer Wasseruhr vergeht. Dieses Stück, das ich als Kind gehört habe, hat es gerade geschafft, Gefühle und tiefe Bilder in meiner Seele freizusetzen. Bedauern, Glück, Kindheit und der ganze emotionale Aufruhr. Die Macht der Musik transzendiert dich mit einem einfachen Pitch, der mit verschiedenen Noten gemischt wird. Dein Ritournelle dreht mich um wie Bugge Wesseltofts Hope. Ich kann meinem Vater nicht genug dafür danken, dass er mir diese Musikkultur im Alter von 7 Jahren mit meinem ersten Mac und einem iTunes mit +3000 Songs gegeben hat

La Ritournelle ist das Stück, das ich der Welt und vor allem den jungen Leuten vorspielen möchte, um sie an die Gefühle des Lebens zu erinnern. Und dass das Leben so schnell vergeht wie eine Netflix-Episode...

Sommer 1980

Wenn es je einen Jungen gab, der den Spitznamen “Fritz the cat” verdient hatte, dann Fritz Kling. Ich lernte ihn im Sommer 1980 am Rande des Fußballfeldes von Biedermannsdorf kennen, wo er im Schatten alter Bäume saß und in der hohlen Hand rauchte. Da war er dreizehn Jahre alt, ich war gerade 15. Obwohl ich damals noch nichts vom Geschichten schreiben wusste, oder davon, wie man Musik macht, obwohl ich damals mehr reaktiv war als besonnen, löste er in mir den Wunsch auf, meine Gedanken und Gefühle ihm gegenüber festzuhalten. Was mir neben seiner beinahe engelhaften Schönheit besonders intensiv auffiel, war seine Ernsthaftigkeit in allem, was er tat, plante, vorhatte und empfand. Fritz blödelte gerne, er war närrisch und lebendig wie ein Blitzschlag. Aber wenn es um Dinge ging, die außerhalb des Jux & Tollerei Rahmens lagen, zeigte er eine vertrauliche Ernsthaftigkeit, die mir fremd war und die mich ganz tief und ehrlich ansprach. Ich mochte ihn und ich wollte, dass er mich mochte. Was ihm besser gelang als mir selbst, war, durch meine Schutzmauer zu blicken und das zu sehen, was ich wirklich war: Ein schlaksiger, verletzlicher Träumer und Narr. Einer, der unsicher war und neu im Ort. Ein Außenseiter, wenn es je einen gegeben hat.

Er nahm mich an und seine Freundschaft war ebenso unaufdringlich wie still und ernst. Und aufrichtig.

Ilmaz und Fritz the cat

Ilmaz war ein fünfzehnjähriger Junge, der Haare auf der Brust hatte und sich rasierte, weil er nicht mit einem Vollbart herumrennen wollte. Er und Fritz trieben sich eigentlich immer im Freien herum. Sie hatten kein Geld für Lokalbesuche oder um beim Greißler des Ortes Bier zu kaufen. Sie kratzten ihr Taschengeld zusammen und kauften sich Zigaretten: Hobby, Smart Export, Flirt. Das Billigste vom Billigen. Sie waren aus der Not heraus reine Naturburschen geworden, und als ich mich ihnen anschloss, ging das von einem Tag auf den anderen und völlig unprätentiös: Am Tag zuvor war ich noch allein und fand mich nicht zurecht, am nächsten hatte ich Freunde. Wir zogen über die Felder, halfen Fischern bei den Vösendorfer Ziegelteichen und verdienten uns so ein wenig Taschengeld dazu, mit dem wir Bier kauften. Damit zogen wir uns in eine der Jägerhochstämme zwischen Biedermannsdorf und Achau zurück, kappselten die Bierflaschen auf, rauchten Zigaretten, und redeten oder schwiegen. Das war unser Geruch: Rauch von Lagerfeuer, gegrillte Maiskolben, Zigaretten und unendlich viel frische Luft.

Sie zeigten mir, wie man auf den alten Betonsilo klettern konnte, um dort oben unbeobachtet zu rauchen, wie man Biedermannsdorf auf den Feldwegen umrunden konnte, wo im wilden Unterholz beim Teich einmal ein sterbender Wolf gefunden worden war (was ich für eine Legende hielt). Sie zeigten mir im Waldstück zwischen Biedermannsdorf und Wiener Neudorf das alte, lange Seil an dem man sich über das ausgetrocknete Bachbett schwingen konnte. Ich lud sie zu mir ein und meine Eltern machten verschnupfte Nasenlöcher, weil sie die Jungs irgendwie “gefährlich” fanden. Wildlinge wie mein Vater sie nannte. Nach einer Weile akzeptierten sie die beiden – vor allem wohl deshalb, weil wir im Grunde genommen nichts anstellten, nichts wirklich Blödes. Wenn wir Geld hatten, gingen wir in zu einem der drei Heurigen, die es im Ort gab und tranken Ribiselwein, und wer den schon mal getrunken hat, weiß, wie das Zeug einfahren kann. Betrunken zu werden war Anfang der Achtziger eine ziemlich billige Angelegenheit.

Fritz lebte allein mit seiner Mutter, sein älterer Bruder war im Gefängnis. Seine Mutter erschien mir immer abweisend, hart und lieblos. Yilmaz wohnte mit seiner Familie in einem Anbau des Borromäums. Sehr beengte Räumlichkeiten, große Familie, eine traurige Mutter und ein vater, der mit der Couch verwachsen war. Wir waren, lange bevor es so etwas im Kino gab, verlorene Jungs. Verlierer. Und deshalb war es so wichtig, dass wir einander hatten.

Der Schatten geheimer Träume

Fritz war älter als sein Taufschein es vermuten ließ. Er war 1981 vierzehn Jahre alt und auf eine ziemlich wilde Art & Weise hübsch. Er war muskulös und graziös wie ein Raubtier. Und er war sich dessen kein bißchen bewusst. Mich wunderte immer wieder, wie vollkommen uneitel er war und wie ihm eine Rangelei unter Freunden wichtiger sein konnte, als einfach nur statuenhaft schön zu sein. Ich erklärte mir das damit, dass Fritz entweder (noch) nichts von Sex wusste, oder vollkommen heterosexuell war und einfach noch nicht so weit, die Verbindung herzustellen zwischen äußerlicher Attraktion und die Suche nach sinnlicher Nähe.

Ich war um zwei Jahre älter und ich verdrängte die Träume, ihm nahe zu sein, wann immer sie auftauchten, und es war mir fast eine Erleichterung, als sich meine sexuelle Aufmerksamkeit im Sommer ´81 auf Walter Kroboth bündelte wie ein Lichtstrahl. So konnte ich weiter mit Fritz auf den Feldwegen herumziehen, um die Wette rülpsen oder einfach nur die Nähe genießen. Er roch sogar im Winter immer irgendwie nach Sommer. Nach Heu und Felder und nach Regen, nach Lagerfeuer. Ihm haftete auch dieser süße Naturwassergeruch an, wie Wassermelone. Damals nahm ich das nicht wahr, aber ich denke doch, dass Fritz und Yilmaz gekränkt waren, als ich immer öfter versuchte, Teil der Clique zu werden, zu der auch Walter Kroboth gehörte, weil er mich unwiderstehlich mit seiner erotischen Schwerkraft anzog. So dachte ich damals nicht. ich handelte nur, suchte Walters Nähe und malte mir aus, wie es wäre, ihn zu küssen und ihm zwischen die Beine zu greifen und zu spüren, wie er hart wurde. Teenagerträume. Auf irgendeiner Ebene verstand Fritz sehr gut was mit mir los war, aber er machte nie ein Thema draus.

Als wir einmal bei einem Treffen der Pfarrjugend dabei waren und eingeladen wurden, uns bei einem Gemeinschaftsspie zu beteiligen, stellten wir fest, dass wir beide anenander dasselbe mochten: Keiner von uns beiden machte sich je über andere Menschen lustig. Wir verspotteten niemand. Wir waren jugendliche Pragmatiker, könnte man sagen. Wie viele andere Jugendliche, die in kleinen Ortschaften aufwuchsen, oder ihre Teenagerjahre dort verbrachten, hatten wir nicht viel zu tun. Deshalb erinnere ich mich jetzt ganz besonders deutlich, was uns in dieser Zeit, in diesem Jahr, bevor Sex, Mädchen, Lehrberuf und erste Träume vom eigenen Auto wichtig wurden, erfüllte. Es war die Nähe, die nichts verlangte und alles gab. Es war die Selbstverständlichkeit, dass wir da waren, die Vertrautheit, mit der wir den Atem des anderen kannten, das Herzpochen und den Geruch vom Schweiß, den Geruch der Kleidung. Wir waren uns vollkommen vertraut – nach kürzester Zeit ineinander verschränkt wie zwei Bäume auf einem einsamen Feld, die ineinander verwachsen sind.

Wie ein hingekritzeltes Fragezeichen

Ich glaube, es war im Sommer 1983, da zog Fritz mit seiner Mutter aus Biedermannsorf weg in das Bundesland Burgenland. Im Herbst deselben Jahres wurde der Anbau des Borromäums geschliffen, in dem Yilmaz mit seiner Familie gelebt hatte und sie zogen nach Wien. Ich stand auf einmal allein da, ich meine, so richtig allein. In den vergangenen zwei Jahren hatte ich auch andere Jugendliche in Biedermannsdorf kennengelernt, mit denen ich mich gut verstand. Da gab es sozusagen eine andere Außenseiterclique, auch irgendwie verlorene Jungs, und gleichzeitig machte ich meine ersten Gehversuche in der elektronischen Musik. Ich hatte um mein erspartes Lehrgeld Synthesizer gekauft und einen Drumcomputer und ein Hallgerät und wir probten in der Nachbargemeinde Achau im Keller eines Familiehauses, wo wir während der Sessions, in denen wir den Stil von Klaus Schulze und Tangerine Dream kopierten, wie die Weltmeister kifften. Das waren damals Klaus Giwiser, Reinhold Atlas und ich. Ich nahm beim jungen Kirchenorganisten Unterricht in Spieltechnik, Komposition und Harmonienlehre und stellte mich dabei nicht ganz dumm an. Das alles hielt mich auf Trab und wenn ich in den Nächten im frühen Herbst von der Probe von der Achau nach Biedermannsdorf unter dem vollen Mond nach Hause ging, wünschte ich mir mit schmerzlicher Intensität Fritz und Yilmaz zurück, die wie Schiffe in der Nacht davongetrieben waren. Ich sang mit meiner krächzenden, vom Kiffen schiefen Stimme “Be my friend” und manchmal blieb ich stehen, schlug die Hönde vors Gesicht, kauerte mich in den Straßengraben, damit mich niemand sehen konnte, und heulte. Eh nur wegen des Kiffs, klar?

Das Fundament meiner Ideale

Walter Kroboth war die erste Liebe meines Lebens und die erste herbe Enttäuschung. Fritz aber war für mich das Fundament, auf dem ich meine Ideale für Freundschaft errichtete. Niemand konnte so viel geben wie er, ohne sich dabei wie einer zu benehmen, der gab. Er war einfach da. Er war immer vollkommen da. Und deswegen wird mich die Erinnerung an ihn mein Leben lang begleiten.

Er hat mich geprägt.

Weil es mir gerade einfällt: Ray Bradbury schrieb in seinem Buch Das Zen in der Kunst des Schreibens eine Anektote über die Zeit, als er in Irland wohnte. Er hatte einen Fahrer, einen Einheimischen, der ihn immer mit dem Auto vom Dorf in sein Haus etwas außerhalb brachte. Ein friedlicher Fahrer, an dessen Seite er oft einnickte, weil der Mann so umsichtig und friedlich fuhr.

Eines Tages holte ihn der Fahrer ab und fuhr wie eine gesenkte Sau, raste dahin und fluchte und Bradbury fragte sich, was denn los sei – wagte sich aber nicht, den Mann zu fragen.

Wochen später erfuhr er, dass sein Fahrer lange Zeit schwerer Alkoholiker gewesen sei und immer, wenn er ihn nach Hause fuhr, stockbetrunken gewesen war. An jenem denkwürdigen Abend war der Fahrer zum ersten mal seit unzähligen Jahren nüchtern unterwegs gewesen.