Erbauungsliteratur

Der österreichische Schriftsteller Daniel Wisser hat auf der Nachrichtenseite zackzack eine Kolumne, und letztens schrieb er über eine relativ neue Unart in der Literaturwelt – den Legitimierungszwang.

Der Legitimierungszwang besagt, dass nur ein homosexueller achtunddreißigjähriger Kellner, der in Wien im achten Bezirk wohnt und den Mount Everest besteigen möchte, über homosexuelle achtunddreißigjährige Kellner, die in Wien im achten Bezirk wohnen und den Mount Everest besteigen möchten, schreiben darf.

Ich hab das in ersten sanften Wellen vor einigen Jahren wahrgenommen, als man allen Ernstes daran dachte, literarische Klassiker und Kinderbücher umzuschreiben, weil die damals gebräuchlichen Wendungen, Wortschöpfungen und Bilder heute nicht mehr opportun sind. Pippi Langstrumpfs Vater, der Negerkönig? Ist nur ein Beispiel von vielen. Gehts nicht kleiner? Etwa in Neuauflagen eine Art Vorwort voranzustellen? Im Film Theater des Grauens mit Vincent Price ist einer der bedrohten Kritiker empört, dass nur ein eingebildeter Zipf wie Edward Lionheart so verwegen sein kann, Shakespeares Kaufmann von Venedig umzuschreiben. Tja und heute ist das Umschreiben der Klassiker quasi Teil der politischen und gesellschaftlichen Richtigkeit.

Auffällig wurde es, als es um die Übersetzung des Gedichts ging, die die amerikanische Schriftstellerin Amanda Gorman für Joe Bidens Angelobung geschrieben hatte: The hill we climb. Da wurde nämlich darüber gestritten, wer das Werk übersetzen darf und welche “pre-requisits von dieser Person zu erfüllen sind, die zunächst einmal nichts mit literarischem Können und Einfühlungsvermögen zu tun haben. Der Text an und für sich ist von lieblicher Belanglosigkeit, so gestückelt, dass er den Atempausen entspricht. Kein Kunstwerk aber auch nicht schlecht. Dem Moment angemessen pathetisch und voll muskulöser Bilder. Mir ist es ja wurscht, und meinetwegen können sie sich alle gegenseitig in die Goschen hauen. Als man Charles Bukowski über Allen Ginsberg fragte: “Was hältst du von ihm?”, sagte Bukowski sinngemäß: “Ja, der ist schon genial. Aber was hilft ihm das alles wenn er das verdammt Klo nicht findet?” Gut, Bukowski war wohl immer ein wenig rüde, aber er fasste das, was ich mir denke, griffig zusammen: Der formale Anspruch an Literatur und Schriftsteller sind alle nichts wert und sinnlos, wenn man nicht dazu kommt, das finale Geschäft ordentlich zu erledigen. Wenn das Drängen & Streben der moralischen Vorbedienungen Dein eigenes Streben nach Wahrheit & Begreifen aushebeln. Dann stehst Du als Schriftsteller letzten Endes da und kackst Dir in die Hose.

Der Verdacht liegt nahe, dass all diese Legitimierungsstolperfallen im Grunde genommen nur den Einfallslosen dienen, den Wenigkreativen und Stümpern, um am Werk anderer moralisch gerechtfertigt herummäkeln zu können. Die Studenten, die vor ein paar Jahren in heller Empörung Universitätsprofessoren das Mikro während einer Vorlesung abdrehten, weil sie sich in ihrem akademischen Saferoom bedrängt fühlten, sitzen jetzt feist und wuchtelbreit an den Schaltern und üben Druck aus. Um sich zu rächen, um Macht auszuüben, um Regeln vorzugeben, die mit steigender Komplexität das Maß an Verunsicherung bewirken, das sie brauchen, um sich überlegen zu fühlen.

Man müsste sie umgehen, aber sie haben sich als Praktikanten und Redakteure in Verlagshäusern eingetreten und als Rezensenten mit privaten Blogs im Web breit gemacht. Gerade Jungschriftsteller, die die Aufmerksamkeit durch gute Rezensionen suchen, sind diesen moralinsauren, sanft säuselnden oder empört donnernden Freaks, die das Klo nicht finden, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Und erst die, die anständige Literatur schreiben (wollen) und im Feuilleton besprochen werden (wollen).

Wo bleibt der literarische Trotz? Der Widerstand? Muss ja gar nicht mal ein Wirbel sein. Einfach umgehen, die Beliebigmacher der Sprache & Kultur. Die kulturellen Desinfektionsgeschwader. Auslachen und links liegen lassen.